Juri Rytchëu

Juri Rytchëu, geboren 1930 als Sohn eines Jägers in der Siedlung Uëlen auf der Tschuktschenhalbinsel im äußersten Nordosten Sibiriens, war der erste Schriftsteller dieses nur zwölftausend Menschen zählenden Volkes. Mit seinen Romanen und Erzählungen wurde er zu einem berufenen Zeugen einer bedrohten Kultur. Juri Rytchëu starb 2008 in St. Petersburg.

Ausführliche Biografie

Juri Rytchëu wurde 1930 in Uëlen, im äußersten Nordenosten Sibiriens, als Sohn eines Jägers geboren. In einer alten tschuktschischen Behausung inmitten der alten Bräuche wuchs er auf. Erste Kontakte mit Russen und dem Russischen hatte er durch Seeleute, die hier manchmal anlegten, mit den Wissenschaftlern der Polarstation, dann aber vor allem in der Schule. Nach deren Beendigung arbeitete er als Gelegenheitsarbeiter, besuchte ein örtliches Lehrerbildungsinstitut und studierte schließlich als offizieller Delegierter des Nationalkreises der Tschuktschen bis 1954 an der Fakultät der Nordvölker in Leningrad.

Anfang der Fünfzigerjahre erschienen seine ersten Erzählungen in tschuktschischer Sprache, bevor sie – später teils von ihm selber – ins Russische übersetzt wurden. Später schrieb er seine Prosa auf Russisch und übersetzte sie nur noch selten ins Tschuktschische. Während er also sprachlich eine Entwicklung vom Tschuktschischen zum Russischen vollzog, ging er inhaltlich umso mehr in die Geschichte seines Volkes und dessen mündliche Überlieferungen zurück. Den Erzählungsbänden Menschen von unserm Gestade (1953), Der Name Mensch (1955) und Tschuktschische Sage (1956) folgte 1958 der erste Teil einer episch angelegten Romantrilogie über die neuzeitliche Geschichte des Tschuktschenvolkes: Zeit der Schneeschmelze.

Der zweite und dritte Band der Trilogie (1960 und 1967), die Eskimo-Erzählung Nuniwak (1962), die Romane Im Tal der kleinen Häschen (1962), Die allerschönsten Schiffe (1967), Aiwangu (1964), Traum im Polarnebel (1968), Reif auf der Schwelle (1970) und die Liebesgeschichte Weket und Agnes (1970) zeigen einen Autor, dessen Schaffen sich nach einer Periode relativ naiver Gestaltung der Tschuktschenwirklichkeit komplizierteren Konflikten und vom sozialistischen Realismus beeinflussten kompositorischen Ordnungsprinzipien zuwendet, um dann in der Bearbeitung mündlicher Überlieferungen eine Synthese tschuktschischer und russischer, mündlicher und schriftlicher Literatur zu finden: So gestaltete er den Schöpfungsmythos des tschuktschischen Volkes neu (Wenn die Wale fortziehen, 1975) und verfasste die Tschuktschenlegende Teryky (1980) über einen unglücklichen Jäger, der sich auf einer abdriftenden Eisscholle in ein fellbewachsenes Ungeheuer verwandelt. Sein letztes von ihm vollendetes Werk ist Alphabet meines Lebens (2008; auf Deutsch erstmals erschienen 2010), in dem er in einem großen Bilderbogen sein Leben erzählt.

Juri Rytchëu lebte in St. Petersburg, war aktiv in verschiedenen Organisationen der arktischen Völker und Herausgeber des UNESCO-Bandes Die Völker der Arktis erzählen über sich selbst. Er verstarb im Mai 2008 in St. Peterburg.

Stimmen

»Wir wissen so wenig über die Völker der Arktis, und die tiefe Verbundenheit dieses Schriftstellers mit seiner Welt von Schnee und Eis (die heute mit der Erderwärmung dahinschmilzt) macht jede Zeile zu einer poetischen Offenbarung.«

Annie Proulx

»Das kleine, von der Auslöschung bedrohte Volk hat einen großen Schriftsteller hervorgebracht, den 1930 geborenen Juri Rytchëu, der seit dreißig Jahren mit fesselnden Romanen und Epen von nichts anderem als dem Überlebenskampf, der kulturellen Eigenheit und alltäglichen Spiritualität der Tschuktschen erzählt. Seine Prosa ist kunstvoll und weise zugleich. Wenn das Wort von der Weltliteratur noch Sinn hat, dann hier: bei diesem Autor, der von einer unbekannten, missachteten Welt am Rande erzählt und dabei universelle Fragen der Menschheit stellt.«

Karl-Markus Gauss, Süddeutsche Zeitung, München

»Mit seinem Blick für das Wesentliche, seinem Einfühlungsvermögen in psychologische Vorgänge und seiner unsentimentalen, mit kleinen dramatischen Höhepunkten versetzten Erzählweise schlägt Rytchëu den Leser in seinen Bann und weckt Hochachtung für die Menschen dieser Gegend.«

Deutsches Allegmeines Sonntagsblatt

»Rytchëus Sprache ist klar und ohne Schnörkel. Sie beschränkt sich auf Wesentliches und erreicht doch eine erstaunliche Dichte, die das Geschehen ›hautnah‹ miterleben lässt.«

Nürnberger Nachrichten

»Das kann Rytchëu: erzählen, dass es das Herz zerreißt. Wie ist die Welt großartig und traurig!«

listen

»Aus Rytchëu, dem einstigen Ziehkind sowjetischer Nationalitätenpolitik, zu deren Prestigeobjekten Nationalschriftsteller gehörten, ist in den vergangenen Jahren ein scharfer Kritiker des sowjetischen Systems und der kruden postkommunistischen Marktwirtschaft geworden, der mit seinen in kurzer Folge erschienenen Romanen und Erzählungen ein einzigartiges Dokument der Agonie, aber auch der Widerstandskraft dieser uralten Kultur an der Behringstraße schuf.«

Sabine Berking, Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Es bleibt der bewundernde Respekt vor diesem Erzähler aus dem östlichsten Osten, dem es gelungen ist, ohne jeden Rückhalt bei einer autochthonen literarischen Tradition sich diesen eigenständigen Weg zu bahnen.«

Lothar Baier , Die Zeit

»Ohne Frage reiht sich Rytchëu in die große Galerie der hervorragenden Romanciers des Realismus auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion wie Aitmatow, Valentin Rasputin und Wladimir Tendrjakow ein, deren Werke schon längst Bestandteil der Weltliteratur geworden sind.«

Buchjournal

»Bislang der einzige Autor von Weltrang, der ganz und gar authentisch vom harten Leben der Tschuktschen berichtet.«

Der Standard

»Welche Schönheit weiß Rytchëu in diesem unwirtlichen Tschuktschenland zu entdecken und in Worte zu fassen!«

Zürichsee-Zeitung

»Mit Kritik an der kulturellen Arroganz der Zivilisatoren hält Rytchëu nicht zurück, die Möglichkeiten kultureller Symbiosen sind ihm jedoch auch bewusst, schließlich lebt er in St. Petersburg. Das zeigt sich auch in seiner Schreibweise: Der Autor bezieht sich auf russische Klassiker und moderne Realisten ebenso wie auf Mythen der Tschuktschen, schamanistisches Wissen und die mündlichen Traditionen.«

Der kleine Bund, Bern

»Der Tschuktsche Juri Rytchëu ist Chronist der ältesten Mythen und der traditionellen Lebensweise seines nur zwölftausend Menschen zählenden Volkes. Sein Werk ist vor allem aber auch Spiegel eines nicht zu heilenden Zerissen-Seins.«

Verena Zimmermann, Solothurner Zeitung

Dokumente

Juri Rytchëu: Der stille Genozid 
Über den Mord an den kleinen arktischen Völkern Russlands
»Es galt also, mir einen anderen Weg zu suchen ...« 
Juri Rytchëu über sein Verhältnis zur mündlichen Erzähltradition
»Von Kindheit an kannte ich jeden Grashalm ...« 
Aus einem Interview mit Juri Rytchëu
Leonhard Kossuth: Wo der Globus zur Realität wird 
Notizen von einer Lesereise mit Juri Rytchëu

Juri Rytchëu besuchen

    Werke von Juri Rytchëu

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    Drei große Autoren erzählen von der Kraft und Vitalität des Schamanismus.

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    Von einem, der auszog, das Lieben zu lernen …
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    In einem großen Bilderbogen erzählt Juri Rytchëu sein Leben.
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    Die Fortsetzung von »Traum im Polarnebel«

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    Zwei Generationen nach »Traum im Polarnebel« brechen zwei Amerikaner auf, die verlorene Welt ihres Großvaters zu suchen. Aber die Tschukotka hat sich dramatisch verändert.
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    Ein zauberhaftes Märchen darüber, wie man die Liebe und seinen Platz in der Welt findet.

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    Familiengeschichte, Epos des eigenen Volkes und Schöpfungsmythos verschmelzen in diesem Roman.
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    Nach »Traum im Polarnebel« macht Juri Rytchëu erneut eine wahre Geschichte zum Ausgangspunkt eines großen Romans über das Fortleben einer Kultur, die »älter ist als die Pyramiden«.
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    »Er war wie ein Wal, der den Anschluss an seine Herde verloren hatte.«
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    »Man wollte uns Tschuktschen ins Paradies führen und ließ uns auf halbem Weg stehen. Das haben wir überlebt, also werden wir auch in Zukunft mehr schlecht als recht weiterleben.« Juri Rychtëu
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    »Eine poetische Saga. Die Spannung ist enorm.« Süddeutsche Zeitung
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    »Rytchëus Erzählung behandelt auf gekonnt-unterhaltsame Weise und mit viel Gespür für kleine Details das brisante Thema der Auseinandersetzung zwischen ’Zivilisation’ und ’primitiver Kultur’, ohne dabei moralisierend den Zeigefinger zu erheben.« Kölner Illustrierte
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    »Der große Zauberer des Nordens heißt Juri Rytchëu.« Crescendo
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    »Es ist etwas ganz und gar Unwiderstehliches in Rytchëus Beschreibung der arktischen Jahreszeiten und Lichtverhältnisse.« Die Zeit
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    »Rytchëu erfüllt seine Geschichte mit einer Wärme, die die Kälte und das Eis vergessen lässt. Ein Márquez der Eiswüste.« foglio